Eine ganz normale U-Bahn-Station, möchte man glauben. Durch die Lautsprecher schallt
die sonore Stimme des Mitarbeiters in der Aufsichtskanzel. In einer besonderen Zeit erlebt der gemeine Fahrgast jedoch eine Überraschung. Aus den Lautsprechern schallt ein Scherz nach dem anderen und unterhält die große Masse an Menschen, die kaum, dass die U-Bahn steht und die Türen gleichzeitig aufspringen, aus den Waggons quellen. Anekdoten und kleine Geschichten unterbrochen von aufmunternden Kommentaren oder versöhnlichen Aufforderungen zu mehr Geduld rieselt auf die Festbesucher nieder.
Das schlimmste wäre eine Panik und oft genug entsteht lautes Zetermordio beim Zusammenprall verschiedener Gemüter an den Türen derer, die schnellstmöglich zum Ausgang drängen. Dem wirkt die warme kräftige Stimme entgegen, die weichmütig die Leute unterhält. Sie umschmeichelt die Menschen, die trotz dem freudigen Ziel angespannt scheinen und plötzlich huscht hier und da ein Lächeln über die Gesichter, der Takt der Schritte wird gleichmäßiger in der Masse, der Rhythmus des Dialekts geht in die Beine. Einige Menschen bleiben lauschend stehen. Leichte Staus an den Rolltreppen, weil die Fahrgäste so gefesselt zuhören und die Pointe nicht verpassen möchten, bevor sie dem Bahnhof entschwinden auf der Rolltreppenfahrt nach oben ins Freie.
Dann aber lenkt das Ziel und die Vorfreude ab. Hinauf bedeutet „auf ins Vergnügen“, das Fest ruft. Nur einmal im Jahr findet es statt und jeder möchte einmal da gewesen sein. Eine U-Bahn nach der anderen im Minutentakt, so geht es in den Abend hinein. Und schon trifft die nächste Bahn ein. Sie stoppt, die Türen springen auf, die Menschenströme ziehen Richtung Rolltreppen, auf zum Fest. Nur der Mann mit der wohlklingenden Stimme bleibt unten in seinem Glaskasten und sieht sich die Menschen an, welche getrieben von Lust auf Übermut, Musik und Ausgelassenheit so unterschiedlich ihren Weg bahnen. Nichts kann ihn erschüttern. Vieles hat er gesehen. Der Mensch offenbart sich in solchen Momenten.
Nachdenklich sieht er ihnen nach, froh, dass er zur Einstimmung betragen kann und sich die angestaute Feierfreude der Leute auf ein friedliches Level senken lässt. Er liebt seinen Job, gerade zu den Festzeiten. Hier kann er sein loses Mundwerk einsetzen und keiner nimmt ihm das übel. Vielleicht hätte er doch etwas anderes aus seinem Leben machen können. Vielleicht hätten die Bühnen dieser Welt auf ihn gewartet. Aber nein. So hat er geregelte Arbeitszeiten. Schon ist es auch soweit. Kaum noch ein Besucher entsteigt den ankommenden Bahnen. Immer mehr Menschen machen sich friedlich und glücklich auf den Heimweg und warten müde, aber zufrieden auf abfahrende U-Bahnen.
Er schnappt sich seine Tasche, packt seine Flasche und seine Brotzeitdose ein und tritt aus der Kanzel. Verschließt sie umsichtig. Morgen ist wieder ein Tag. Er lässt sich mit der Rolltreppe nach oben bringen und wirft einen Blick zum Fest hinüber. Mit langen Schritten nimmt er seinen Weg auf. Er taucht ein ins Licht der Straßenlaternen zwischen den schwarzen Bäumen, deren oranger Schein auf den Gehweg fällt und die Dunkelheit am Rand verstärkt. Lichter, jauchzende Schreie aus den Fahrgeschäften, Musikfetzen, die bierschwangere Luft, all das lässt er hinter sich.
Er hatte seinen Applaus.
500 Wörter
Ich folge der wunderbaren Schreibeinladung für die Textwochen 05.21/Extra-Etüden:
Die Wörter im Monat Januar spendeten Ludwig Zeidler und Ulrike von Blaupause7. Sie lauteten:
Zetermordio,
weichmütig, backen
Lautsprecher, orange, erschüttern.
auf Irgendwas geht immer.
Die Extra-Spielregeln sind: Fünf Begriffe von den sechs in maximal 5oo Wörter zu verpacken, die Textart ist egal.
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Christiane (Dienstag, 02 Februar 2021 18:08)
Das ist ein großartiger Text voller Emotion. Ich war sofort dort – obwohl ich noch nie da war. Gefällt mir sehr gut. Gibt es den Ansager wirklich? Fast würde ich es mir wünschen ... ;-)
Ganz herzliche Grüße und vielen Dank dafür! :-D
Doro (Dienstag, 02 Februar 2021 20:47)
Liebe Christiane,
doch doch, das ist die reine Wahrheit - zum Glück gibt es noch so menschliche Züge.... und Erlebnisse. Das ist Norbert und er hat solche Sprüche: „Die U-Bahn ist kein Adventskalender, bei uns öffnen Sie bitte alle 18 Türen gleichzeitig.“ Da ich ihn nicht persönlich kenne ist natürlich auch ein Teil der Geschichte frei erfunden. Ich hab mir nur mal so meine Gedanken gemacht und meine Sehnsucht nach solch einem Ereignis war groß als ich vorgestern über die Theresienwiese spazierte. LG Doro